Weitblick, Durchblick, Überblick: Digitalisierung an der Fensterfront
Im Gespräch mit Joachim und Florian Oberrauch, Mitglieder der Geschäftsführung der Finstral AG
Die Finstral AG ist ein europaweit agierender, inhabergeführter Fensterbauer aus Südtirol. Finstral entwickelt, berät, fertigt und verkauft mit 1.400 Mitarbeitern und 1.000 Fachhandelspartnern in insgesamt 16 Ländern Europas. Der Hauptsitz des Familienunternehmens liegt in Unterinn bei Bozen. Nicht nur innerhalb der Südtiroler Landesgrenzen genießt Finstral den Ruf, ein außergewöhnlich prozessorientiertes, dynamisches und innovatives Unternehmen zu sein. Auch Megatrends wie die Digitalisierung hat der Fensterbauer mit viel Weitsicht frühzeitig erkannt und schrittweise implementiert.
Seit wann widmet sich Finstral dem Thema Digitalisierung ganz bewusst?
Der fundamentale Schritt in Richtung Digitalisierung passierte mit der Entscheidung, ein eigenes ERP-System zu entwickeln. Eine Kernfunktion von ERP, also von Enterprise-
Resource-Planning, ist in produzierenden Unternehmen die Materialbedarfsplanung. Sie stellt sicher, dass alle für die Herstellung der Erzeugnisse und Komponenten erforderlichen Materialien an der richtigen Stelle, zur richtigen Zeit und in der richtigen Menge zur Verfügung stehen. Diese strategische Entscheidung, dass wir also ein eigenes ERP-System brauchen, fiel bereits in den 1990er Jahren, noch bevor das Thema Digitalisierung so richtig aufkam. Hier wollte sich Finstral bewusst nicht auf ein Standard-ERP-System verlassen, sondern selbst eines entwickeln. Unsere ist schließlich auch eine ganz eigene Branche — jedes unserer Produkte ist maßgefertigt, wir produzieren nichts auf Lager! Und alles, was produziert wird, könnte theoretisch auch in Millionen anderer Varianten produziert werden. Insofern waren die Ansprüche an das Finstral-ERP-System ganz besonders hoch.
In der frühen Entwicklungsphase wurden Daten mit Diskette & Post transportiert — das waren die ersten, noch recht schwerfälligen Schritte in der Digitalisierung. Mit dem Internet wurde alles vernetzter.
Ist dieses ERP-System heute also ein Wettbewerbsvorteil?
Unsere Branche wird gerne unterschätzt, was die Variantenvielfalt betrifft, die wir bieten müssen. Dass wir es schaffen, bei dieser Vielfalt noch den Überblick zu behalten, alles einwandfrei herstellen und schnell und flexibel liefern zu können — das haben wir natürlich zu einem großen Teil unserem ERP-System zu verdanken. Insofern ja, das System ist eine Absicherung, ein Wettbewerbsvorteil.
Bei 15.000 Fenstereinheiten, die wir pro Woche produzieren — die auch alle völlig unterschiedlich sein können —, erscheint es uns selbst manchmal unglaublich, dass alles so reibungslos funktioniert! Und nicht nur das — wir können dank unseres Systems stets die gesamte Kette vom Moment des Auftrags bis zur Lieferung gut nachverfolgen!
Bleibt dieses ERP-System bestehen? Hält es dem Wachstum stand?
Das hängt von vielen Faktoren ab — und insbesondere hängt es davon ab, ob das Produkt selbst so bleibt! Natürlich sind Anpassungen und Optimierungen EDV-technisch laufend notwendig. Wir arbeiten heute ja nicht mehr mit dem System von einst — das System ist mitgewachsen, auch wenn es im Kern dasselbe bleibt. Die Weiterentwicklungen kommen von den internen Mitarbeitern, die können am System besser schrauben als ein Externer — was jeden Tag gelebt wird, kann besser optimiert werden: ein weiterer Vorteil, wenn man das Ganze im Haus hat.
In unserer Branche sind 95 % der Anbieter Verarbeiter, das heißt, sie kaufen die Komponenten auf Maß zu und verarbeiten sie dann. Wir aber gehen noch einen Schritt weiter und erstellen praktisch alle Komponenten selbst! Wir erstellen das Kunststoffprofil, kaufen vielleicht das Aluminium, lackieren es aber selbst, schneiden es selbst zu. Beim Holz werden die Bretter gekauft, profiliert, lackiert usw. Auch beim Glas werden die Flachgläser gekauft, es wird aber hier bearbeitet — zugeschnitten, gehärtet, lackiert. Und alle Halbfertigteile sind natürlich auch erst zu organisieren! Das alles leistet die Digitalisierung.
Wir sind stolz auf unsere 14 Standorte — aber die müssen natürlich auch erst einmal koordiniert werden. Deswegen musste man sich nicht nur mit dem Handling von technischen Daten auseinandersetzen — ein großes Thema war auch die Vernetzung! Eine wichtige Frage lautete: Wie erreiche ich die einzelnen Werke mit den Daten? Wir haben uns relativ früh für ein eigenes Rechenzentrum entschieden, auf das alle Anlagen und Maschinen zugreifen. Wenn die Produktentwicklung entscheidet, es muss irgendwo etwas geändert werden, dann wird das einmal vor Ort am Ritten angepasst — und morgen ist diese Änderung in allen Werken upgedatet. Klar — das Risiko, dass ich hier einen Fehler mache und dieser Fehler dann überall in den Werken verbreitet wird, ist groß. Aber was ist dieses Risiko schon im Vergleich zum Nachteil, den wir hätten, wenn wir alle Änderungen nicht-digital in den Werken kommunizieren müssten?
„Es erscheint uns selbst manchmal unglaublich, dass alles so reibungslos funktioniert.”
Apropos Daten: Wo liegen die großen Datensätze und wie handhabt ihr diese?
Wir haben ein zweites System, natürlich an einem anderen Ort. Fällt eines aus, greift das parallele System. Und dann haben wir noch eine dritte Sicherung mit abgeschwächter Leistung, sowie eine Datensicherung gegen Angriffe. Wir haben aus dem Internet jeden Tag x-tausend Angriffe aufs System. Gewisse Daten geben wir in die Cloud, aber sensible Daten bleiben auf jeden Fall im Haus.
Inwiefern hat die Digitalisierung bei Ihnen Arbeitsbereiche ersetzt? Wo haben sich neue Bereiche eröffnet?
In erster Linie vereinfacht Digitalisierung viele Arbeitsbereiche. Alles, wo sich extrem viel wiederholt, kann digital gesteuert werden, so dass dem Menschen mehr Zeit bleibt für komplexe oder komplizierte Dinge — Digitalisierung soll in erster Linie unterstützend wirken. Was die Maschine macht, ist standardisiert, der Mensch hat jedoch die Fähigkeit weiterzudenken, vorauszudenken, zu optimieren, zu überlegen: Wo könnte man denn das Ganze für den Kunden noch besser, noch schneller, noch flexibler gestalten? Für jede Form von Optimierung braucht es die Fähigkeit zu denken — da ist der Mensch gefragt.
In den letzten Jahren haben wir uns stark mit der papierlosen Produktion beschäftigt. Jedes Fenster erhält die passende Gebrauchsanweisung bzw. Bauanleitung — digital! Neben einer Einsparung bedeutet dies vor allem eine enorme Arbeitserleichterung für den einzelnen Mitarbeiter. Es geht also nicht darum, Mitarbeiter einzusparen, sondern es geht darum, Arbeiten zu erleichtern und damit mehr Zeit für Kundenbetreuung und Optimierungen zu gewinnen.
Von Seiten der Mitarbeiter ist die Akzeptanz hoch, wenn Digitalisierung so interpretiert wird. Trotzdem sind für manche die digitalen Neuerungen selbstverständlich, und andere haben ihre Schwierigkeiten damit — vor allem die ältere Generation tut sich oft schwerer damit.
Wie nimmt man die ältere Generation dann mit?
Die Älteren haben auf jeden Fall ihre Qualitäten und ihr Potential, das sich von jenem jüngerer Mitarbeiter unterscheidet. Sie sind handwerklich viel erfahrener und geschickter! Es geht heute einfach darum, die Personen richtig einzusetzen. Ja, die Hauptfrage, die sich jede Führungspersönlichkeit stellen muss, lautet: Wo setze ich die Mitarbeiter am besten ein? So wie bei einer Fußballmannschaft: Wer ist mein Stürmer, wer sind meine Mittelfeldspieler und wer ist Verteidiger? Jeder, der ein Werk leitet, hat definierte Ziele, und er muss schauen, wie er mit seiner Mannschaft diese Ziele erreicht.
„Für jede Form von Optimierung braucht es die Fähigkeit zu denken — da ist der Mensch gefragt.”
Was ist heute anders? Stichwort Generation Y — welche Unterschiede zwischen den Generationen gibt es noch?
Sie bringen vielfach eine andere Ausbildung mit und sind projektorientierter. Sie kommen morgens, gehen abends und legen auf ihr Leben außerhalb des Unternehmens genauso viel Wert. Das Thema „Millennials in der Arbeitswelt“ wird in den Medien oft stärker gepusht, als es inhaltlich eigentlich hergibt. Vielleicht haben wir aber auch einfach Glück! Früher war eine ganz andere „Hörigkeit“ da, man musste mehr vorgeben. Heute denken die Leute mehr mit, sie hinterfragen — und demnach ist die Möglichkeit zur Optimierung größer. Man kann jungen Menschen heute auf jeden Fall Eigenverantwortung zumuten, als Führungskraft muss man vielleicht weniger „Chef“ und dafür mehr „Coach“ sein. Der junge Mitarbeiter fragt: „Warum machen wir das so? Wie könnte man das besser machen? Macht das so Sinn?“ Wir haben keine Angst vor dieser Entwicklung, ganz im Gegenteil! Natürlich verlangt das der Führungskraft viel Flexibilität ab. Die Aufnahmefähigkeit der Mitarbeiter ist heute viel höher und Neues lernen sie unglaublich schnell.
Gehen Sie bei Finstral denn auf die „neuen Erwartungen an den Job“ der Generation Y ein?
Sie meinen damit Ansprüche wie Home-Office oder Sabbaticals, die man dieser neuen Generation nachsagt? So ganz arg erleben wir das hier bei uns gar nicht. Flexible Eintrittszeit, also Gleitzeit, haben wir sogar aus Eigeninitiative angeboten — und sie wurde von den Mitarbeitern abgelehnt!
Grundsätzlich ist zu sagen, dass wir die einzelnen Arbeitsplätze gerne und mit Engagement gestalten — hierbei steht aber nicht der Wunsch des Mitarbeiters im Vordergrund, sondern immer der Wunsch des Kunden! Unseren Mitarbeitern ist das eigentlich ganz klar, in allen Bereichen und Instanzen. Wir bieten keine Wohlfühlräume, keine Massagestunden, kein Soccer-Turnier. Was wir bieten: auf jeden Fall sehr hochwertiges Essen — wir legen auch großen Wert darauf, dass die Mittagspausen eingehalten werden, weil wir davon überzeugt sind, dass Auszeiten in Verbindung mit energiereichem, schmackhaftem Essen einfach wichtig sind. Die Mitarbeiter empfinden das als einen wertvollen Beitrag zu ihrer Lebensqualität.
Auch Weiterbildungsprogramme sind uns wichtig. Jeder Mitarbeiter kann beispielsweise Sprachen lernen, von Englisch, Spanisch bis hin zu Französisch, ganz unabhängig davon, ob er die Sprache beruflich benötigt oder nicht. Eines gibt es allerdings schon, das in gewisser Hinsicht wohl in dieses Generation-Y-Erwartungsraster fällt: Wir bieten Yoga an — nach der Arbeitszeit. Generell sind wir aber der Meinung, dass diese Dinge überbewertet sind. Vielleicht sind sie ja gut fürs Image, aber ganz ehrlich — in Wirklichkeit geht es dem Mitarbeiter doch um etwas ganz anderes: ein gutes Arbeitsklima, einen Job, der einem wirklich liegt — und natürlich faire Entlohnung. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist interessant und wichtig und hier versuchen wir aus purer Überzeugung, wirklich etwas zu bieten. Wobei ich denke, dass das Thema Vereinbarkeit manchmal vielleicht einfach falsch ausgelegt wird — es heißt ja nicht, dass alles eins werden muss! Vereinbarkeit kann mitunter sehr wohl auch Trennung bedeuten, oder nicht?
Ist es grundsätzlich schwieriger geworden Mitarbeiter zu finden?
Das hängt von der Region ab. In Südtirol ist es schwieriger geworden, Personal im Bereich Fertigung, Produktion zu finden. Interessant ist: Je höher der erforderliche Bildungsgrad für die Position, desto einfacher ist es, Mitarbeiter zu finden. Früher war es eher umgekehrt.
„Parallel zu Online braucht es Print. Wenn wir drucken, dann drucken wir aber hochwertig!”
Wie suchen Sie nach neuen Mitarbeitern?
Ganz unterschiedlich. Für offene Stellen in der Produktion nutzen wir lokale Zeitungen. In letzter Zeit haben wir gute Erfolge über LinkedIn erzielt. Wir suchen natürlich zunehmend online. Nur sehr punktuell arbeiten wir mit Headhuntern. Recruiting über Social Media oder auch gezieltes Employer Branding haben wir noch nicht gemacht, bisher hatten wir andere Prioritäten und es hat bis dato auch so gut funktioniert.
Stichwort Social Media: Wie hat sich das Marketing in den letzten Jahren verändert?
Insgesamt ist natürlich vieles auf Online verlagert worden, der Kunde will heute einfach jederzeit Zugang zu Informationen haben. Aber — Print haben wir nie vernachlässigt, im Gegenteil! Parallel zu Online braucht es Print, ganz einfach, um eine haptische Visitenkarte zu haben. Wir drucken vielleicht nicht mehr viele unterschiedliche Produkte. Wir haben uns beispielsweise auf das Finstral Magazin konzentriert. Wenn wir drucken, dann drucken wir aber hochwertig!
Es ist wichtig, möglichst viele Sinne anzusprechen, vor allem in der Phase des vielleicht ersten Kontakts mit dem Kunden. Digital spreche ich nur zwei Sinne an, Papier greift sich auch gut an und besitzt einen tollen Geruch! Vor allem zu einem Investitionsprodukt gehört ein hochwertiges haptisches Produkt dazu, das ist einfach wichtig. Unser Produkt ist langlebig und das muss durch alle Materialien kommuniziert werden. Digitalisierung ist ein Must in Sachen Marketing, und eine ausgeklügelte Social Media Strategie ist der nächste Schritt. Trotzdem ist jetzt der günstigste Zeitpunkt, den Gegentrend frühzeitig aufzugreifen und sich selbst als Marke zu präsentieren, die auch im Printbereich maximale Kompetenz zeigt. Trend und Gegentrend, das gilt für alles. Wir werden weiterhin versuchen, Trends insgesamt frühzeitig zu erkennen, so wie es unsere Väter immer vorgelebt haben.