Yoga vor dem Meeting und das Schweigen in der Kantine
Immer mehr Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern Mindfulness-Programme, Tischtennis-Turniere und Massagestunden an — nachhaltige Maßnahmen zur Stressreduktion oder reine Imagesache? Achtsamkeit am Arbeitsplatz — wie geht das wirklich?
„Stellen Sie sich vor, Sie könnten jeden Tag mit einem Lächeln zur Arbeit gehen. Wie wäre es, wenn Ihr Job Sie voll und ganz erfüllen, ja Sie richtig glücklich machen würde?“
So der Klappentext des Bestsellers „The Big Five for Life“ von John Strelecky.
Wie sich unsere persönlichen Lebensziele mit unserer Arbeit in Einklang bringen lassen, zeigt der Autor anhand der Geschichte einer wunderbaren Freundschaft auf und spricht damit einer ganzen Generation aus der Seele. In einer Welt der Digitalisierung hat sich nämlich nicht nur das Arbeiten an sich geändert, sondern auch die Einstellung der Menschen dazu.
Alles optimal vereinen — und das ganz ohne Stress, bitte
Die Generation der Millennials will nicht länger arbeiten, um zu leben, sondern die Arbeit als sinnstiftenden Teil des Lebens erfahren. Drei von vier Arbeitnehmern in Deutschland fühlen sich an ihrem Arbeitsplatz zwar wohl und finden ihren Job erfüllend, paradoxerweise sagen aber neun von zehn Deutschen auch, dass sie sich von ihrer Arbeit gestresst fühlen. Das Work-Life-Blending — ebenfalls zu einem großen Teil auf die Digitalisierung zurückzuführen — hebt die herkömmliche Trennung zwischen Beruf und Freizeit aus den Angeln. Dadurch wächst bei vielen der Wunsch nach Ruhe und Fokussierung.
Entschleunigung und Achtsamkeit sind die Schlagwörter unserer Zeit! Vielleicht ist der Mensch einfach ein Sklave der aktuellen Entwicklungen und kann mit den digitalen Geistern, die er selbst gerufen hat, (noch) nicht umgehen? Wie für alle Menschen, die diese Welt mit verändert haben, hat der Tag nach wie vor 24 Stunden. Das Tempo wird zusehends unkontrollierbarer, die Zeit verfliegt, wir sind reizüberflutet und Aufgaben prasseln von vielen Seiten gleichzeitig auf uns ein. Dass die Achtsamkeitsbewegung kein kurzfristiger Hype, sondern das Ergebnis einer Leistungsgesellschaft ohne Ausgleichsventil ist, zeigt allein die Tatsache, dass sie zunehmend Verbreitung findet.
Das Unternehmen als Better-Life-Coach
8 oder 10 Stunden dauerhafte Leistung vo einem Einzelnen — dass das nicht klappt, ist nicht erst seit heute klar. Die Arbeit ist keine Fließbandarbeit mehr — in diesen Bereichen ist der Mensch längst von der Technik abgelöst worden. Vor allem Wissensarbeit — wie auch Kreativität — lässt sich schwer im Nonstop-Modus produzieren. Wie gehen die Big Player dieser Welt mit diesem Problem um?
Der Automobilkonzern Daimler-Benz bietet seinen Mitarbeitern Business-Yoga an, damit sie in der Hektik des Alltags Klarheit und Orientierung finden. Google hat mit „Search inside yourself“ ein eigenes Mindfulness-Programm für seine Mitarbeiter geschaffen und SAP hat Meditations-Workshops eingeführt; es gibt dort auch „Mindful Lunches“, bei denen schweigend gegessen wird. Sich durch Meditation für eine Weile aus der brummenden Betriebsamkeit ausklinken — löst es das Problem? Hilft das?
Ist es nicht ein Widerspruch in sich, wenn auf der einen Seite Yoga-Kurse angeboten werden und auf der anderen „Jederzeit-Erreichbarkeit“ und Arbeiten zu jeder Zeit an jedem Ort verlangt wird? Kann eine Yoga-Einheit im Unternehmen tatsächlich den Stress mindern, der durch diese „Always-On“-Mentalität produziert wird? Kann es sein, dass — zumindest in manchen Fällen — die Unternehmen die Sehnsucht der Arbeitnehmer nach Pausen, Auszeiten usw. über die oben genannten Angebote zum Polieren des eigenen Images nutzen, das Problem aber nicht an der Wurzel packen — ganz einfach, weil sie es nicht können?
Achtsamkeit kommt nämlich von innen.
Vielleicht ist das Problem das Work-Life-Blending selbst. In einer Welt, in der die Nachfrage nach Digital-Detox-Programmen für die Top-Manager dieser Welt immer weiter steigt, wird vermutlich kein Yoga-Kurs das Grundproblem lösen. Die Vereinbarkeit von Work und Life könnte vielleicht ganz anders aussehen — Vereinbarkeit muss doch kein Synonym für ständiges Ineinandergreifen sein.
Eigenverantwortung bedeutet schließlich, sich selbst zu kennen. Selbst zu verstehen, wann Körper und/oder Geist eine Pause brauchen. Eigenverantwortung bedeutet auch, die eigene Energie vielleicht in ein Zeitmanagement-Seminar zu investieren, damit sich nachhaltig etwas am Stressgefühl ändert — statt dutzende Massage-Einheiten für die Bewältigung des Stressgefühls zu buchen. Und: Vielleicht ist das für viele als „altmodisch“ empfundene 9-to-5-Modell gar nicht mal so schlecht? Wer möchte nicht irgendwann einfach Feierabend haben, auch mal off sein dürfen? Das Gefühl haben, die Tagschicht so gut wie möglich geleistet zu haben — und Massage- und Yoga-Stunden außerhalb des Betriebs, nämlich in der eigenen wertvollen Freizeit, genießen?
Achtsamkeit am Arbeitsplatz fängt doch letzten Endes bei jedem selbst an. Prioritäten setzen, Grenzen ziehen, sich konzentrieren, fokussieren oder auch mal nein sagen — die Verantwortung für sich selbst, für das eigene Wohlbefinden am Arbeitsplatz kann man nicht einfach so an das Unternehmen delegieren. Tipps für Achtsamkeit am Arbeitsplatz gibt es viele — zu guter Letzt lassen sich die meisten jedoch in einem Satz zusammenfassen: Mit dem Geist bei der Sache sein, bewusst arbeiten und bewusst Pausen setzen. Wahrscheinlich ist das nicht nur am Arbeitsplatz wichtig.